Ein Planet, viele Zukünfte
16.05.2019
Die Zukunft war von Anfang an ein wichtiger Bezugspunkt für nachhaltige Entwicklung. Schon die Idee der Nachhaltigkeit entstand aus der Erkenntnis, dass wir im Interesse künftiger Generationen schonend mit den Ressourcen unseres Planeten umgehen müssen. Eine Vielzahl von Akteuren entwickelt Ideen und Konzepte für die Zukunft und arbeitet an deren Umsetzung. Wer genau sind sie, welche Maßnahmen ergreifen sie und welche Art von Zukünften wollen sie herstellen? Diesen Fragen widmet sich ein Sonderheft der Zeitschrift „Sustainability Science“.
Darin beleuchten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedene Debatten über Nachhaltigkeit mit dem Ziel, ein differenzierteres Verständnis des Handelns für eine nachhaltige Zukunft sowie dessen Bedingungen zu entwickeln. „Wir wollten deutlich machen, wie die Herstellung von Zukünften in unterschiedlichen Bereichen geschieht und welche Probleme sich daraus für Nachhaltigkeit ergeben. Dabei haben wir festgestellt, dass Zukunftswahrnehmung von bestimmten Bereichen dominiert ist, zum Beispiel Technologie oder Wirtschaft. Sie wird aber nicht als etwas gesellschaftlich Verhandel- und Gestaltbares verstanden: Die Zukunft ist überwiegend entpolitisiert“, erläutert Mitherausgeberin Anne-Katrin Holfelder vom IASS. Die Autorinnen und Autoren der zwölf Beiträge analysieren gegenwärtige Zukunftsherstellungen ihrer Disziplinen und machen Vorschläge, wie nachhaltige Zukünfte stärker in die Mitte des gesellschaftlichen Diskurses gerückt und damit „politisiert“ werden können.
Bildung als „Subjektwerdung“
In ihrem Aufsatz „Towards a sustainable future with education?“ beschreibt Holfelder den Widerspruch zwischen den Erwartungen an Bildungseinrichtungen und deren Arbeitsweise: Große Teile der Gesellschaft meinen, dass Schulen und Universitäten zur Gestaltung einer nachhaltigen Zukunft befähigen sollten, was aber deren Leistungsorientierung, Individualisierung und Kurzfristigkeit entgegensteht. Zudem fühlen sich viele Menschen nicht hinreichend in der Lage, die Gesellschaft oder ihre eigene langfristige Zukunft zu beeinflussen. Die Autorin zeigt auf, dass das eigentliche Potenzial von Bildung im Kontext der Nachhaltigkeit darin besteht, Bildung nicht nur als zielgerichtete Ausbildung, sondern stärker als Teil der „Subjektwerdung“ zu denken. Der Schwerpunkt liege hierbei auf der aktiven Auseinandersetzung mit der Umgebung und der Ermöglichung des Verstehens. Auf diese Weise könnten verschiedene Zukunftsoptionen geöffnet werden, da die Schüler, Schülerinnen und Studierenden Entwicklungen nicht als vorbestimmt oder unverändert wahrnehmen und Alternativen denken können.
Gesellschaftliche Debatte über Climate Engineering
Sean Low und Stefan Schäfer vom IASS beschreiben in ihrem Aufsatz „Tools of the trade: practices and politics of researching the future in climate engineering“ verschiedene Arten der Herstellung von Zukunft in der Forschung zu Climate Engineering. Einige dieser Ansätze leiten die Zukunft von gegenwärtigen Wahrscheinlichkeiten ab, technische und ökonomische Zukunftsperspektiven stehen bei ihnen im Mittelpunkt. Diese Methoden, so die Autoren, sollten ergänzt werden durch Ansätze, die verschiedene gesellschaftliche Akteure einbinden. Auf diese Weise würden zukünftige Entwicklungen umfassender, experimenteller und demokratischer behandelt und es entstünden vielfältigere Handlungsoptionen.
Demokratie kann gut mit Nachhaltigkeit umgehen
Um die Zukunftsorientierung in politischen Theorien geht es in dem Aufsatz „Thinking about future/democracy: towards a political theory of futurity“ von Rosine Kelz. Die IASS-Wissenschaftlerin bezieht sich auf Hannah Arendt, Stanley Cavell und Jacques Derrida um zu zeigen, dass Demokratie, offene Zukünfte und Nachhaltigkeit miteinander verknüpft sind. Die politische Theorie helfe beim Nachdenken über ökologische Fragen, indem sie dem Hinterfragen der eigenen Rolle in der Gesellschaft, der Kritik an vergangenen Entscheidungen, dem Aushalten und Nutzen von Widersprüchen eine bedeutende Rolle einräumt. Damit einher gehe eine große Offenheit der Zukunft, die es erlaubt, nachhaltigere Formen des Zusammenlebens zu erproben.
Sonderheft:
Knappe, H., Holfelder, A.-K., Löw Beer, D., Nanz, P. (2018): The politics of making and un-making (sustainable) futures. - Sustainability science, 13, 2, p. 273-274.
DOI: http://doi.org/10.1007/s11625-018-0541-x
Beiträge:
- Adloff F, Neckel S (2019) Futures of Sustainability as Modernization, Transformation and Control. A Conceptual Framework. Sustainability Science
- Amsler S (2019) Gesturing towards radical futurity in education for alternative futures. Sustainability Science
- Bornemann B, Strassheim H (2019) Governing Time for Sustainability – Analyzing the Temporal Implications of Sustainability Governance. Sustainability Science
- David M, Gross M (2019) Futurizing politics and the sustainability of real-world experiments: What role of innovation and exnovation in the German energy transition? Sustainability Science
- Esguerra A (2019) Future Objects: Tracing the Socio-Material Politics of Anticipation. Sustainability Science
- Groves C (2019) Sustainability and the future: reflections on the ethical and political significance of sustainability. Sustainability Science
- Hölscher L (2019) Future Pasts. About a Form of Thought in Modern Society. Sustainability Science
- Holfelder A-K (2019) Towards a sustainable future with education? Sustainability Science
- Kaufmann N, Sanders C, Wortmann J (2019) Building New Foundations. The Future of Education from a Degrowth Perspective. Sustainability Science
- Kelz RJ (2019) Thinking about future/democracy – towards a political theory of futurity. Sustainability Science
- Longhurst N, Chilvers J (2019) Mapping diverse visions of energy transitions: Co-producing socio-technical imaginaries. Sustainability Science
- Low S, Schäfer S (2019) Tools of the Trade: Practices and politics of researching the future in climate engineering. Sustainability Science