Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit Helmholtz-Zentrum Potsdam

Roadmap bietet Forschungs- und Aktionsplan für den Umgang mit Polykrisen

17.09.2024

Mit der neuen „Polycrisis Research and Action Roadmap“ legt ein internationales Forschungsteam einen Plan zur Förderung der Polykrisenanalyse als anerkanntes Wissens- und Praxisfeld vor. Die Publikation stützt sich auf die Ergebnisse einer breit angelegten Konsultation von Mitgliedern der wachsenden Gemeinschaft der Polykrisenforschung und -praxis. Sie soll Wissenschaftlern, politischen Entscheidungsträgern, Unternehmen und Geldgebern eine übersichtliche und dennoch umfassende Momentaufnahme dieses aufstrebenden Feldes bieten, einschließlich seiner Lücken, Chancen und potenziellen Prioritäten. Sie ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit zwischen dem Cascade Institute, dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, dem Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit - Helmholtz-Zentrum Potsdam und dem Centre for the Study of Existential Risk.

Systemische Risiken

Fünf Hauptmerkmale von Polykrisen

Der Begriff „Polykrise“ hebt die Wechselwirkungen zwischen Krisen hervor, doch gibt es bisher keine einheitliche, verbindliche Definition des Begriffs. Weitgehende Einigkeit besteht darüber, dass das Phänomen fünf Hauptmerkmale aufweist:

1. Entstehender Schaden: Wenn Krisen zusammenwirken, unterscheiden sich ihre Auswirkungen von denen, die sie einzeln gehabt hätten - und sind im Allgemeinen schlimmer. 
2. Vielfältige Ursachen: Zusammenwirkende Krisen lassen sich nicht auf einzelne Ursachen zurückführen, vielmehr entstehen sie aus komplexen kausalen Wechselwirkungen, die vielschichtige Reaktionen erfordern. 
3. Tiefe Ungewissheit: Kriseninteraktionen führen zu Veränderungen, die unser Verständnis überfordern und unsere Fähigkeit, künftige Entwicklungen vorherzusehen, übersteigen. 
4. Systemischer Kontext: Krisen entstehen in komplexen Systemen. Um sie zu verstehen und anzugehen, müssen wir folglich auch in komplexen Systemen denken. 
5. Neues Wissen und Handeln: Etablierte Rahmenbedingungen, Institutionen und Praktiken sind für die Bewältigung von Kriseninteraktionen ungeeignet; neue Formen der Forschung und Praxis sind erforderlich.

Lücken, Herausforderungen, Prioritäten und Lösungen

In den letzten zwei Jahren hat sich der Begriff „Polykrise“ von einem lose verwendeten Schlagwort zum konzeptionellen Anker für eine schnell wachsende globale Forschungsgemeinschaft entwickelt, die sich auf die systemischen Zusammenhänge zwischen den vielen Problemen der Welt konzentriert. Die Erkenntnisse sind jedoch noch eklektisch und unvollständig, was zu vielen Lücken, Herausforderungen, Lösungen und Prioritäten in den vier Dimensionen der Polykrisenanalyse führt:
Theoretische Grundlagen: Bei der Analyse von Polykrisen gibt es Uneinigkeit über die Konzeptualisierung von Krise und Risiko, über den spezifischen Charakter von Polykrisen sowie über die Rolle von Macht und persönlicher Handlungsfähigkeit von politischen Akteuren einerseits, anderseits aber auch über institutionelle Rahmenbedingungen, um Polykrisen zu analysieren und damit besser umzugehen. Auch wenn diese Fragen möglicherweise nicht gelöst werden können, sollten Theoretiker ihre Positionen dazu expliziter darlegen, um die Wissensakkumulation zu fördern. 
Empirische Forschung: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben begonnen, vergangene und gegenwärtige Polykrisen auf mehreren Ebenen zu untersuchen, aber sie müssen die zu untersuchenden Systeme, die Grenzen dieser Systeme und die einzelnen Krisen, die zusammen eine Polykrise ausmachen, klarer identifizieren. Zu den wichtigsten Forschungsprioritäten gehört die Untersuchung der Mechanismen der Krisenübertragung zwischen den Systemen und der Lehren aus vergangenen Polykrisen angesichts ihrer Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu aktuellen und möglichen künftigen Krisen. Die empirische Forschung sollte das gesamte Spektrum der verfügbaren Methoden, Modelle und Datensätze erforschen und erweitern, um ein eigenständiges, interdisziplinäres Forschungsfeld zu etablieren. 
Praktische Anwendungen: Die Polykrisen-Community möchte politischen Entscheidungsträgern und anderen Akteuren an vorderster Front helfen, dringende, sich überschneidende Krisen möglichst zu verhindern und gegebenenfalls darauf zu reagieren. Aber das Thema hat ein „Negativitätsproblem“, das sein Publikum und seine potenzielle Wirkung einschränkt. Außerdem sind politische Entscheidungsträger und Praxis-Akteure weitgehend vom Forschungsprozess ausgeschlossen. Um diese beiden Herausforderungen zu bewältigen, sollten Organisationen, die Polykrisenforschung betreiben, Kommunikationsexperten einbeziehen, um zu lernen, wie die Polykrisenanalyse besser gestaltet werden kann, und Fachleute aus der Politik einbinden, deren Fachwissen und Prioritäten in Forschungsprojekte integriert werden können. 
Aufbau einer Gemeinschaft: Die Entwicklung des Feldes der Polykrisenforschung erfordert eine kohärente Identität für Polykrisenforschende, eine breitere Einbeziehung verschiedener Perspektiven, eine verstärkte Öffentlichkeitsarbeit und eine erweiterte organisatorische Infrastruktur, wie z.B. Forschungsstellen, Kommunikationsplattformen, jährliche Treffen und kooperative Koordination. Die Polykrisen-Gemeinschaft sollte daher eine Reihe gemeinsamer Grundsätze, Initiativen zur Erhöhung der Beteiligung des globalen Südens und anderer unterrepräsentierter Gruppen, Mittel zur intellektuellen und finanziellen Unterstützung der Mitglieder sowie Strategien zur Verbesserung der Kommunikation und des Verständnisses sowohl innerhalb der Gruppe als auch darüber hinaus entwickeln. 

Autorinnen und Autoren der Roadmap und dieser Zusammenfassung: Michael Lawrence, Megan Shipman, Scott Janzwood, Constantin Arnscheidt, Jonathan Donges, Thomas Homer-Dixon, Christian Otto, Pia-Johanna Schweizer, Nico Wunderling

Weitere Informationen und Download-Links: https://cascadeinstitute.org/technical-paper/polycrisisroadmap/

Kontakt

Pia-Johanna Schweizer

Dr. Pia-Johanna Schweizer

Forschungsgruppenleiterin
pia-johanna [dot] schweizer [at] rifs-potsdam [dot] de
Bianca Schröder

Dr. Bianca Schröder

Referentin Presse und Kommunikation
bianca [dot] schroeder [at] rifs-potsdam [dot] de
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